Melkonyan



Mit meinen Eltern

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Mit meinen Eltern

Nach dem Krieg 1918, als mein Vater von den Dardanellen zurück in seine Heimatdorf Bardizag (Bahcecik) kam und sein Haus nicht betreten konnte, weil es von Türken besetzt war, war er verzweifelt. Er hat seine Eltern, seine Schwester und alles, was er besaß, verloren. Er stand mittellos in Bardizag (Bahcecik). Da hat er die Bogosyaner, die ihre Leben den türkischen Nachbarn verdanken, getroffen. Sie erzählten ihm, was in Bardizag passiert ist, seine Eltern und seine Schwester wurden deportiert und sind nie mehr zurückgekommen. Er schloss sich der Familie Bogosyan an und heiratete die Tochter Sirarpi. Somit hat er die ganze Verantwortung für die Familie Bogosyan übernommen. Beide Familien hatten in Bardizag (Bahcecik) keine Habe mehr, alles was sie besaßen, wurden ihnen von den Türken weggenommen.

Nur die Bogosyaner und Melkonyaner, die vor dem Krieg ausgewandert sind, konnten ihre Habe, wenn auch mit wenig Geld verkaufen, und dieses mitnehmen. Die Armenier, die deportiert wurden, haben alles was sie besaßen, verloren. Für die Familien Melkonyan und Bogosyan war kein Platz mehr in Bardizag. Mein Vater zog mit seiner Frau und den Schwiegereltern nach Tekirdag, 60 km südöstlich von Istanbul um. Kurz nach der Geburt meines Bruders Vartan 1921 zogen sie nach Istanbul zu den Verwandten, die dort wohnten und eine Metzgerei betrieben.

Mein Vater arbeitete dort in der Metzgerei und im Jahre 1926 ging er mit seinem gesparten Geld  und mit seiner Familie nach Büyükada und gründete dort ein kleines Fuhrunternehmen. Er kaufte einige Pferde und Kutschen, und er wurde auf der Insel als Fuhrunternehmer tätig. Da auf der Insel Autos nicht erlaubt waren, außer für die Feuerwehr, war das Geschäft sehr lukrativ. Es waren damals nur einige Griechen und Armenier Fuhrunternehmer auf der Insel und ein oder zwei Türken.

Ich sage hier bewusst Armenier und Griechen, weil die Türken die Minderheiten, die Türkische Staatsangehörige sind und in der Türkei leben, nicht als Türken akzeptieren und sie selber zu den Griechen, die Türkische Staatsangehörige sind, sagen„Grieche“ oder „Armenier“. Obwohl die Armenier und Griechen, die in der Türkei leben, sich als Türken betrachten. Die Türken denken, dass alle Minderheiten, die in der Türkei leben, potenzielle Spione sind. Mein Vater war im Krieg in den Dardanellen und kämpfte unter der Türkischen Flagge. Er war trotzdem in den Augen der Türken kein Türke. Es war sehr traurig, in dem Land zu leben, sich selber als Staatsbürger fühlt, aber von den Türken nicht akzeptiert wird. Manche Türken benutzen das Wort „Armenier“ sogar als Schimpfwort. Dieses Schimpfwort habe ich sogar  hier in Deutschland selber von einem Türken gehört, der hier in Deutschland ja auch in der Minderheit lebt.

Am 17. Februar 1929 wurde ich im Haus meiner Eltern auf der Princess Insel, ursprünglich Prinkipo und jetzt Büyükada, geboren. Im Juni 1929 wurde ich getauft. Trotzdem wurde ich im Standesamt als am 17. September geboren eingetragen. Dies habe ich erst in Deutschland gemerkt, da in der Türkei nicht der Geburtstag sondern das Geburtsjahr galt. Damals haben wir auch dort keinen Geburtstag sondern Namenstag gefeiert.

Mein Vater verdiente soviel Geld, dass wir, eine sechsköpfige Familie, gut lebten. Nur während der Kriegzeit, 1939-1945, obwohl die Türkei an dem Krieg nicht beteiligt war, haben wir Schwierigkeiten gehabt, Nahrungsmittel zu bekommen, das Brot wurde sogar mit Marken gekauft, natürlich konnte man auf dem Schwarzmarkt alles kaufen. Ich kann mich erinnern, dass wir den Tee, da wir keinen Zucker hatten, mit Rosinen tranken, damit wir den Zuckergeschmack erhielten.                                                                        

Als ich noch klein war, ungefähr drei Jahre alt, erzählte mir mein Opa die Geschichte, die er mit einem Bären erlebt hatte. Sie waren auf der Jagd, als sie plötzlich zwei Bären zu Gesicht bekamen. Der Freund meines Opas wurde ängstlich, mein Opa kannte die Bärennatur, die sehr ängstlich sind, deshalb hat er zu seinem Freund gesagt, er solle ruhig bleiben und aufpassen, was die Bären jetzt machen werden. Er nahm seine beide Händen vor seinen Mund und schrie laut „BUUUUU“. Beide Bären liefen über die Felsen hoch in die Berge. Mein Opa sagt zu seinem Freund „ Komm schau einmal auf die Felsen, was die Bären hinterlassen haben“. Sie gingen hoch und sahen tatsächlich den durchfallartigen Dreck, den die Bären hinterlassen hatten.

Mein Opa konnte auf der Insel Büyükada, wo wir lebten, schlecht gehen, seine Hoden waren geschwollen. Kurz danach starb er. Zwei der drei Töchter meiner Oma, meine Tanten, waren schon mit ihren Ehemännern vor dem Krieg in die USA ausgewandert. Da sie sich an das dortige Leben angepasst hatten und ihrer Mutter ein schönes Leben bieten wollten, haben sie meine Oma in die USA geholt, sie sollte ihr restliches Leben dort bei ihren Töchtern verbringen. Sie fuhr vor Kriegsausbruch mit dem Schiff in die USA. Anscheinend hat Ihr das dortige Leben nicht so gut gefallen, und deshalb fuhr sie, ohne uns vorher zu benachrichtigen, während des Krieges im Jahre 1943 wieder zurück nach Istanbul zu ihrem Schwiegersohn Harutyun. Wir haben von unseren Tanten mitgeteilt bekommen, dass die Oma mit dem Schiff zurück in die Türkei unterwegs ist. Ich kann mich genau erinnern, wie wir alle am Anlegeplatz auf das Schiff gewartet und sie abgeholt haben.

Mein Bruder Vartan hat nach seinem Grundschulbesuch in der Französischen Schule auf Büyükada, die von  Nonnen geführt wurde, in der Konditorei von Artin und Ortans auf Büyükada, seine Konditorlehre gemacht. Im Jahre 1942 wurden alle Jungen der Minderheiten zum Militär eingezogen. Sie haben aber keinen Militärdienst geleistet, sondern wurden als Straßenbauer bei dem Straßenbau in Adana, südöstlich der Türkei, eingesetzt. Nach dem er im Jahre 1946 aus dem Militär entlassen wurde, ist er zurück nach Istanbul gekommen und hat eine kurze Zeit bei uns auf Büyükada gewohnt. Anschließend arbeitete er in einer Konditorei im Zentrum von Istanbul, in Beyoglu, und er zog aus seinem Elternhaus aus. Wir waren jetzt nur fünf Personen im Haushalt meines Vaters. Ich ging zu Schule und spielte in der Fußballmannschaft als Torhüter. Bald habe ich am Fußball keinen Spaß mehr gehabt und fing im Jahre 1946 an zu boxen.

Im Jahre 1949, genau gesagt am 14.Oktober 1949, wurde ich zum Militär eingezogen. Die ersten vier Ausbildungsmonate habe ich in Eregli bei Zonguldak am Schwarzen Meer und die restlichen 20 Monate in Ankara, Hauptstadt der Türkei, verbracht. Dort habe ich Glück gehabt, dass ich einen sehr guten und verständnisvollen Hauptmann gehabt habe. Er nannte mich Fahri, ein türkischer Name, damit die anderen Türken nicht merken, dass ich Armenier bin. Er erlaubte mir, jeden Tag in den Box-Club zu gehen, um dort zu trainieren. Ich war der Schriftführer der Kompanie und arbeitete zusätzlich in der Autowerkstatt. Durch mein tägliches Training im Boxclub wurde ich in kurzer Zeit der Boxchampion des Militärs in Ankara und kurz danach Bezirks-Boxmeister Ankara der Gewichtsklasse 60,5 kg.

Nach meiner Entlassung aus dem Militär arbeitete ich in einer Werkstatt in Istanbul, in der Ventilatoren hergestellt wurden. Ich wurde nach kurzer Zeit in der Werkstatt zum Werkmeister ernannt. Im Jahre 1952 kam meine Tante aus den USA, New York, mit dem Dampfer „Andrea Doria“ nach Istanbul und besuchte  uns. Nach zweiwöchigem Aufenthalt in Istanbul kehrte sie wieder zurück in die USA. Ich trainierte zwei Mal in der Woche im Amateurboxclub in Istanbul. Im Jahre 1953 wurde ich nach mehreren Boxkämpfen, manchmal drei Kämpfe am Tag, Türkischer Boxmeister in der Gewichtsklasse 63,00 kg.

Im Jahre 1954 wurde ich Bezirks-Boxmeister und kurz vor den Türkischen Boxmeisterschaften wurde ich beim Training verletzt, ich zog mir eine Gehirnblutung hinter den Augen zu, und bin aus dem Boxsport ausgeschieden.

Ich ging aber nach meiner Genesung weiterhin zwei Mal in der Woche zum Training und half einigen Boxern. Ich übernachtete an den Trainingstagen bei meinem Bruder, der schon verheiratet war, in Istanbul und die andere Tage bei meinen Eltern auf Büyükada. Natürlich waren meine Eltern mit meinen Boxerfolgen sehr stolz auf mich. Mein Bruder war auch sehr stolz, er bekam jeden Sonntag meinen Boxmeisterausweis und ging ins  Stadion, um die Fußballspiele kostenlos zu sehen. Ich möchte hier erwähnen, dass alle Sportler, die Türkische Meister waren, alle sportlichen Veranstaltungen kostenlos  besuchen durften. Mein Bruder war natürlich nicht ich, aber er gab sich bei Eintritt ins Stadion als ich an und besuchte so die Veranstaltungen kostenlos. Am 06. und 07. September 1955 war ich wieder zum Boxclub gegangen. Als ich mit einigen anderen Boxern nach dem Training nach Beyoglu ging, haben wir gesehen, wie die Menschen im Rausch waren und plünderten alle Geschäfte, die im Besitz der Minderheit waren. Einige hatten eine Liste in der Hand und zeigten die Geschäfte, deren Besitzern Armenier, Griechen oder Juden waren. Aber es wurden überwiegend die Armenischen und Griechischen Geschäfte geplündert. Darunter waren auch sehr viele Aramäische Geschäfte, die geplündert wurden. Die Straße war voll mit den Sachen, die aus den Geschäften heraus geworfen waren. Man konnte sich nicht auf der Straße bewegen, es war alles voll mit Kühlschränken, Unter- und Oberbekleidungen, Schuhen u.ä. Sachen bedeckt. Bis zu dieser Zeit habe ich sehr viel erlitten, weil ich kein Moslemtürke war, ich habe alles, was ich bisher erlebt hatte, ertragen, aber dies war mir zu viel. Ich habe mich entschlossen, auszuwandern, egal wohin, wollte nicht mehr in diesem Land, das mein Heimatland ist, bleiben. Wir wurden als Ausländer und potenzielle Spione behandelt. Zuerst habe ich versucht, mit einem Frachtschiff, dessen Besitzer ein Freund meines Bruders war, auszureisen. Ich bin auf dem Schiff als Matrose bis nach Norwegen gefahren. Drei Monate war ich unterwegs, aber ich habe leider keine Möglichkeit gefunden, in irgendeinem Land zu bleiben. Wenn ich gewusst hätte, dass man als Asylbewerber in irgendeinem Land bleiben konnte, wie es die Türken und Leute aus den anderen Arabischen Ländern jetzt tun, würde ich damals mit Sicherheit auch einen Asylantrag in irgend einem Land stellen, um dort bleiben zu können, leider war damals unbekannt, ASYL zu schreien.

Ich kam wieder in die Türkei zurück. Ich habe aber meine Meinung und mein Vorhaben nicht geändert, ich suchte eine Möglichkeit, auszuwandern. Mein Vater war natürlich traurig, dass sein Sohn auswandern wollte, aber meine Sicherheit war für ihn sehr wichtig, deshalb war er mit meinem Vorhaben halbherzig einverstanden. Meine Mutter aber bestärkte mich in meinem Vorhaben, da sie die selber deportiert worden war und nur mit viel Glück überlebte sie mit ihren Eltern.

Als mein Cousin Hagop Calikyan sich mit einer Griechin verlobte, habe ich bei der Verlobung den Vater der Braut kennen gelernt,  ich glaube er hieß Herr Hrisanthi mit Vornamen. Er vertrat damals in der Türkei eine Firma aus Bielefeld, die Gardinen herstellte. Da seine Frau eine Deutsche war, sprach auch er Deutsch. Er wollte mir helfen, ins Ausland zu kommen. Er schrieb zehn Briefe an deutsche Ventilatoren Fabriken in Nordrhein Westfalen. Eine einzige Firma hat von diesen zehn Anfragen geantwortet, die Ventilatoren Fabrik Oelde.

Wie ich später erfahren habe, war damals der Besitzer dieser Firma, Herr Hupe, mit dem Zahnarzt Sinanjan in Oelde befreundet. Herr Sinanjan war ein Waisenkind aus der Türkei, das bei dem ersten Völkermord an den Armeniern durch Sultan Abdülhamid im Jahre 1896, gerettet wurde und nach Deutschland gekommen ist. Herr Hupe wusste also von ihm, was die Armenier in der Türkei erlitten hatten.

Somit bin ich nach Deutschland gekommen. Ich habe mich hier eingelebt, angepasst und mich in kurzer Zeit hier integriert und geheiratet. Ich bin mit meinen eigenen Mitteln nach Gütersloh zur Berlitz School gefahren, um Deutsch zu lernen. Jetzt können die Ausländer, um sich zu integrieren, kostenlos  Deutsch- Unterricht nehmen. Ich konnte damals nicht die Deutsche Staatsangehörigkeit bekommen, ich musste zehn Jahr warten. Nach dem unsere zwei Kinder Harutyun und Talin geboren wurden, durften wir den Deutschen Bürgerschafts-Antrag stellen. Inzwischen starb meine Grossmutter, Varsenik Bogosyan, mit 94 Jahren im Jahre 1964 auf Büyükada. Sie wurde auf der Insel Kinaliada beerdigt. Meine Frau war und ist Deutsche, die Kinder waren hier geboren, aber meine Kinder und ich wurden alle im Gesundheitsamt von Kopf bis Fuß untersucht, dann durften wir die Deutsche Staatsangehörigkeit erlangen. Und heute? Jeder Ausländer wird eingebürgert, ob krank oder gesund, ob er Deutsch sprechen und lesen kann, oder nicht. Hier muss ich mich berichtigen, nach den neuen Bestimmungen werden Ausländer, die die Deutsche Bürgerschaft beantragen,  vorher überprüft, ob sie Deutsch lesen und sprechen können, ich war sogar bei einigen Prüfungen anwesend. Ich betone hier nochmals, dass ich sehr viele türkischstämmige Deutschen kenne, die noch nicht mal richtig Türkisch sprechen und lesen können, wie sollen sie die Deutsche Sprache beherrschen? Sie sind aber jetzt Deutsche und besitzen zusätzlich die rosa farbige Karte, die sie vom dem Türkischen Konsulat erhalten haben. Mit dieser Karte werden sie in der Türkei  wie ein Türkischer Staatsbürger behandelt. Was interessiert sie daher eine doppelte Staatsbürgerschaft. Ich frage mich, wo bleibt die Gerechtigkeit?

Ach wo sind die Zeiten, wo in Deutschland noch alles in Ordnung war? In Deutschland hat sich alles stark verändert, nicht immer zum Guten. Einige in Deutschland lebende Ausländer oder eingebürgerte, wollen sich nicht den deutschen Gepflogenheiten anpassen, sondern wir Deutsche haben uns angepasst. Die Deutschen haben auch viel Gutes von den Ausländern gelernt, und das spiegelt sich in der Esskultur wieder. Ich kann mich sehr gut erinnern, wie damals im Jahre 1973 mein Schwager und seine Frau bei uns zum Abendessen eingeladen waren. An dem Abend sah meine Schwägerin die scharfen Peperoni und dachte, es seien grüne Bohnen. Sie nahm ein Stück in die Hand mit den Worten:„Oh, grüne Bohnen“  und steckte die Schote in den Mund, um sie kurz danach schreiend in die Serviette zu spucken. Anschließend trank sie schnell Wasser, was grundsätzlich falsch war, sie musste anschließend Brot essen. Die Zeiten sind jetzt vorbei, unser Essen hier in Deutschland ist sehr vielseitig geworden.

Vor meiner Einbürgerung im Jahre 1968, habe ich meine Eltern zu uns nach Deutschland zu Besuch eingeladen. Ich habe meinen Eltern einige Städte in Deutschland und einige in Holland gezeigt. Sie waren so begeistert, dass sie hier bleiben wollten. Aber ich konnte sie nicht hier behalten, weil sie als Tourist und nur für einen dreimonatigen Aufenthalt nach Deutschland eingereist waren. Wenn ich so gehandelt hätte, wie einige andere Ausländer, würde ich einen Trick finden und sie hier behalten, und sie auf Staatkosten ihren Lebensunterhalt bestreiten lassen. Ich kenne einige hier in Deutschland, die so auf Staatskosten leben, was hier in Deutschland getrieben wird, darüber kann ich Bücher schreiben. Und was wird danach passieren? Ich werde, wie es Herrn Sarrazin passierte, von einigen „Deutschen“?!!! als Rassist und Ausländerfeind diskriminiert. Gott sei Dank, nach der Veröffentlichung des Buches von Sarrazin, ist das deutsche Volk wach geworden. Ich liebe mein deutsches Vaterland und möchte es nicht von einigen Leuten!!! kaputt machen lassen.

Meine Eltern sind nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland in die Türkei zurückgekehrt. Im Jahre 1973, als ich wegen einer Meniskus Operation im Krankenhaus lag, kam ein Telegramm mit der Nachricht,  dass mein Vater schwer krank sei und im Sterbebett liege, ich solle sofort nach Istanbul kommen. Ich konnte natürlich nicht hinfliegen. Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus flog ich nach Istanbul. Es war zu spät, er war schon beerdigt. Nach meiner Rückkehr aus der Türkei bekam ich noch eine schlechte Nachricht, Frau Sinanjan, meine Zieh-Mutter in Deutschland, war während meines Aufenthaltes in Istanbul, aus dem Bett gefallen und lag mit einem Beckenbruch lange Zeit vor dem Bett, bis man sie fand und starb bald darauf. Wenn ich hier gewesen wäre, würde es vielleicht nicht passieren, da ich sie jeden Tag besucht habe. Wir haben sie auch beerdigt. In einem Monat kurz hintereinander zwei Beerdigungen, das war zu viel für mich und auch für meine Familie. Nach dem Tod meines Vaters lebte meine Mutter allein auf Büyükada. Mein Bruder konnte sie nicht zu sich nach Istanbul nehmen. Es blieb nur, dass ich sie nach Deutschland zu mir hole. Da ich ein Haus gebaut hatte und Platz für meine Mutter und Schwiegermutter hatte, habe ich meine Mutter zu uns nach Deutschland geholt. Wie sagt man: „ Einen alten Baum kann man nicht umpflanzen“. So geschah es auch mit meiner Mutter. Sie konnte kein Deutsch und blieb den ganzen Tag zu Hause mit meiner Frau und den Kindern, ohne ein Wort miteinander reden zu können. Später hat meine Frau sie täglich zu einer türkischen Familie, die in der Innenstadt wohnten, gebracht und nachmittags wieder abgeholt. Jetzt war sie glücklicher, als vorher, aber immer noch nicht so, wie sie sich es gewünscht hatte. Nach einiger Zeit hat meine Mutter den Wunsch geäußert, zurück zu kehren in die Türkei. Alle meine Bemühungen waren vergebens, sie konnte nicht mehr lange hier bei uns leben. Da sie einen Cousin in Paris hatte, habe ich mit dem Cousin Kontakt aufgenommen und danach meine Mutter zu ihrem Cousin Harutyun nach Paris geschickt. Sie blieb dort einige Zeit, in der wir sie mit dem Auto dort besucht haben. Unsere Kinder waren auch dabei. Als ich wieder in Deutschland war, habe ich mit meinen Tanten in Kalifornien Kontakt aufgenommen und gefragt, ob ich meine Mutter nicht in die USA schicken darf. Sie waren sofort einverstanden, so dass meine Mutter von Paris nach San Francisco flog, und sie wurde von ihren Schwestern abgeholt und nach Fresno, wo sie wohnten gebracht. Sie hat dort einige Jahre bei ihren Schwestern gewohnt, und auch von dort wollte sie wieder in ihre Heimat nach Istanbul zurückkehren. Sie flog über Frankfurt nach Istanbul in Begleitung einer Stewardess. Wir, die ganze Familie Melkonyan mit Kindern sind nach Frankfurt gefahren und haben sie im Flughafen besucht. Anschließend flog sie nach Istanbul und wurde von meinem Bruder Vartan abgeholt, und er nahm sie zu sich nach Hause. Sie hat bis zu ihrem Tod, sie wurde 99 Jahre, bei meinem Bruder Vartan und Schwiegertochter Lusarpi gewohnt. Meine Frau und ich haben sie in Istanbul auf Büyükada öfter besucht. Sie war bis zu ihren 98 Jahren fit im Gedächtnis. Bei unserem Besuch, als sie 99 Jahre war, konnte sie uns erst nicht mehr erkennen, und im Dezember 1999 starb sie nach dem Frühstück ganz ruhig im Bett. Wir, meine Frau und ich, waren bei der Beerdigung meiner Mutter in Istanbul. Sie wurde im Grab meines Onkels Kurken auf dem Friedhof in Sisli beerdigt.


 

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