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Erinnerungen eines Armeniers

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Artikel - Türkische Gemeinde Deutschland (TGD)
Erinnerungen eines Armeniers

02.01.2010, von susanneguesten

Medien

 

Sarkis Cerkezyan in seinem Haus in Kumkapi (Foto: Susanne Güsten)

Schwer haben es die Armenier, wie der Mord an dem armenischen Journalisten Hrant Dink vor zwei Jahren wieder zeigte. Leicht haben sie es nie gehabt, das zeigt das Leben des armenischen Schreiners Sarkis Cerkezyan, der alle Tiefen des armenischen Schicksals in der Türkischen Republik miterlebt hat. Cerkezyan starb in diesem Sommer im Alter von 94 Jahren. Susanne Güsten konnte kurz vor seinem Tod mit ihm über seine Erinnerungen sprechen.

Sarkis Cerkezyan in seinem Haus in Kumkapi (Foto: Susanne Güsten)

Kurdische Kinder spielen in den Gassen von Kumkapi, einem alten Viertel von Istanbul an der byzantinischen Stadtmauer am Ufer des Marmara-Meeres; ein Händler rattert mit seinem Handwagen über das Pflaster. Zwischen halbverfaulten Holzhäuschen und bröckelndem Mauerwerk verfällt eine ausgebrannte Kirche. In der Molatasi-Gasse Nummer 31 lugt Sarkis Cerkesyan erst einmal durch den Türspalt, bevor er aufmacht:








Sarkis Cerkezyan in seinem Haus in Kumkapi
(Foto: Susanne Güsten)

Ein kleiner Mann von über 90 Jahren steht in der Türe, mit weißen Haaren, dichten weißen Augenbrauen und einem weißen Schnurrbart. Das Stadtviertel ist nicht mehr das, was es einmal war, entschuldigt er sich:

Jede Nacht gibt es da draußen Schießereien und Radau, so eine Gegend ist das jetzt geworden. Aber die Miete ist billig, deshalb bleibe ich hier wohnen.

Winzig ist das zweistöckige Häuschen von Sarkis Cerkesyan – oben ein Schlafzimmer und unten ein kleiner Wohnraum. Auf einem Gaskocher unter der Treppe brüht Cerkesyan den Tee auf, während er erzählt, wie es früher war in Kumkapi, bis vor etwa 20 Jahren:

 

Junge türkische Armenierin im alten Armenierviertel Kumkapi in Istanbul (Foto: Susanne Güsten)Hier in der Gasse wohnten fast nur Armenier und Griechen, im ganzen Viertel war das so. Heute sind nur noch zwei oder drei übrig, alle anderen sind fort. Heutzutage leben hier vor allem Kurden aus Südostanatolien.

Anatolien, seufzt Cerkesyan über dem Tee in seinem Wohnraum. Seit über sechzig Jahren lebt Cerkesyan in Istanbul, aber ursprünglich stammt auch er aus Anatolien, aus der Stadt Karaman im Süden der Türkei. In einem Fotoalbum bewahrt er die Bilder und Briefe von damals auf:

Da, das ist mein Vater, Bankier Cerkesyan aus Karaman… Hier, das ist die Handschrift meiner Mutter…. Da, das bin ich. Alles alte Familienfotos…





Junge türkische Armenierin im alten
Armenierviertel Kumkapi in Istanbul (Foto: Susanne Güsten)
                                                                          Auch an den Wänden des kleinen   Wohnraums hängen Schwarz-Weiß-Fotos von längst verstorbenen Angehörigen, Freunden und Weggefährten.
Lange bitten muss man Cerkesyan nicht, damit er aus seinem Leben erzählt:

Ich bin 1916 geboren, sozusagen ein Kind der Umsiedlung. 1915 wurden die Armenier ja vertrieben nach Arabien. Mein Vater war Bankier in Karaman, meine Mutter Lehrerin. Meine ältere Schwester wurde noch in Karaman geboren, sie war noch Wickelkind, als es nach Arabien ging. Ich selbst wurde während  der Vertreibung geboren, in einem arabischen Dorf in der Nähe von Aleppo, das ist heute Syrien. Später gingen wir zurück, 1918, als die Engländer kamen und die Umsiedlung endete. Ich selbst war noch Wickelkind, als wir nach Karaman zurückkehrten.

Der alte Mann hält inne und blättert in einem Stapel alter Briefe, Karten und Dokumente, die aus dem Album gerutscht sind. In ihrer alten Heimat hat die Familie nie wieder Fuß gefasst.

In Karaman ist nichts mehr von uns – natürlich hatten wir da Güter, aber sie sind uns ja alle weggenommen worden. Wir hatten Grundbesitz, in Adana in der Südtürkei, mein Vater war ein schwerreicher Mann, bevor wir gingen.  Als wir zurückkamen, hatte er alles verloren.

Schwere Jahre folgten, erzählt Cerkesyan, in denen die Familie mittellos durch die Türkei irrte. Aus Geldmangel konnte er die Schule nicht abschließen; mit 16 verdingte er sich bei einem Schreiner. Durch ihre Armut blieb der Familie zumindest der nächste Schlag erspart, der viele Armenier traf – die berüchtigte Vermögenssteuer, die im Zweiten Weltkrieg für die Armenier und andere Minderheiten erhoben wurde. Cerkesyan erinnert sich gut daran:

Wenn man das bei allen gemacht hätte, dann hätten wir das schon verstanden. Aber nur die Nicht-Moslems wurden dazu verdonnert, denen wurden frei erfundene Steuerbeträge abverlangt: Du zahlst soundsoviel, du soviel. Die Leute hatten das Geld nicht, sie verkauften Haus und Hof, um zahlen zu können, und die anderen schnappten sich billig ihren Besitz. Der Erlös reichte aber oft immer noch nicht aus, um die Steuer zu bezahlen. Da wurden die Männer zur Zwangsarbeit in den Steinbruch nach Aschkale in Ostanatolien geschickt, mitten im Winter. Viele sind dort gestorben.

Von der Zwangsarbeit blieben in jenen Jahren auch jene Armenier nicht verschont, die kein Geld und Gut hatten. Cerkesyan selbst schuftete vier Jahre lang beim Eisenbahnbau – beim so genannten Wehrdienst für die nicht-moslemischen Minderheiten, denen das Reich kein Gewehr in die Hand geben wollte. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging er nach Istanbul und ließ sich als Schreiner nieder. Ruhe und Normalität kehrten in sein Leben ein – bis in einer einzigen Nacht alles zerschlagen wurde: in der Istanbuler Pogromnacht von 1955. Sarkis Cerkesyan kann sich an jeden Moment jener Septembernacht erinnern, in denen Lynchmobs mit Knüppeln und Eisenstangen auf Griechen und Armenier losgingen:

Als das Geschrei begann, rannte ich nach Hause. Wie waren gerade erst dort eingezogen, deshalb wussten die Leute nicht, dass wir Armenier waren. Wir haben sofort eine türkische Fahne aus dem Fenster gehängt, ich habe mir einen Stuhl vor die Tür gestellt und meiner Frau gesagt: Schnell, binde dir ein Kopftuch um wie die Musliminnen, nimm das Kind und geh rauf. Ich blieb vor der Türe sitzen. Draußen war alles am Randalieren, am Zertrümmern und am Plündern – bis ein Uhr morgens ging das so.

Tausende Häuser, Kirchen und Geschäfte von Armeniern und Griechen wurden in jener Nacht überfallen, hunderte Menschen verletzt, ein Dutzend getötet. Sarkis Cerkesyan entging dem Lynchmob durch eine List:

Drei Leute kamen die Straße entlang, einer davon blond, die redeten untereinander und zeigten auf unser Haus. Da verstand ich, dass die dem Blonden die Häuser der Christen im Viertel zeigten. Ich ging zu dem hin, legte ihm so die Hand auf die Schulter und sagte: Ihr redet hier wohl über mein Haus. Das gehört zwar einem Armenier, aber der wohnt oben und ist verreist. Unten wohne ich – nicht, dass es hier ein Missverständnis gibt! Und das war’s – der kam nicht auf die Idee zu fragen, wer ich eigentlich bin!




Eine armenische Kirche: heute nur
noch eine Ruine (Foto: Susanne Guesten)


Als spontane Krawalle gegen die griechische Zypern-Politik wurden die Pogrome damals dargestellt; inzwischen können Historiker belegen, dass es ein geplanter und staatlich koordinierter Angriff auf die christlichen Minderheiten war. Sarkis Cerkesyan wusste schon in jener Septembernacht, wer dahinter steckte:

Morgens um eins pfeift einer an der Ecke, die Diebe und Plünderer laufen weg. Da kommt ein Armee-Offizier mit drei Soldaten, der denkt, ich gehöre zu den Plünderern und sagt zu mir: Bursche, ich beglückwünsche euch. Das habt ihr gut gemacht, alle Türken sollten so sein wie ihr. Aber nun ist es gut, die Armee ist da, wir übernehmen das jetzt. Und ich sagte zu ihm irgendwas wie Dank und Ehre der türkischen Armee und ging ins Haus. Und in dem Moment dachte ich mir: Es gibt auf der Welt Länder, in denen Kinder friedlich und ohne Angst schlafen können. Und ich habe mich nach so einer Heimat gesehnt.

Der Film “Salkim Hanimin Taneleri” (Frau Salkims Perlen) (1999) derselben Regisseurin
schildert, wie die Türkei 1942 mit der konfiskatorischen Vermögenssteuer die nichtmuslimische Minderheiten aus Wirtschaft und Handel verdrängte. Viele der veranlagten Juden, Armenier und Griechen konnten die Steuern nicht aufbringen und wurden in das Arbeitslager Ashkale deportiert. Autor der Romanvorlage war ebenfalls der damalige Minister Yilmaz Karakoyunlu. Aus der Hauptfigur der Romanvorlage, dem jüdischen Leo, wird im Film nach dem Drehbuch Etyen Mahcupyans der Armenier Levon.
Von dem heftigen Streit und dem Vorwurf des “Vaterlandsverrats” gegen den Film und den Autor der Romanvorlage von Seiten türkischer nationalistischer Rechter und kemalistischer Linker nach Ausstrahlung des Films im staatlichen türkischen Fernsehen TRT berichtete Rainer Hermann im Feuilleton der FAZ vom 29.12.2001 unter der Überschrift “Auweia, unsere Perlen rollen in den Gully”.


 

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